Ewenen-Frauen in Nationaltracht
Anfang 20. Jahrhundert
Nachdem
er nach seiner Sitte aufgestanden und gegrüsst hatte, erzählte er auf unsere
Frage, warum er weine, Folgendes:
>>
Als ich gestern im Walde ging, fand ich an einer Stelle viele Spuren, von
wilden Rennthieren. Mich ausserordentlich über diesen Fund freuend, kehrt ich
augenblicklich zu meiner Familie zurück.
Nachdem ich hier mein Gewehr und meine
Sachen in die gehörige Ordnung gebracht und selbst ausgeruht hatte, kam ich vergangene
Nacht gegen Mitternacht, als eben die Oberfläche des am Tage weich gewordenen
Schnees gefroren war, meinen Hund führend und meine Schneeschuhe anhabend, zu
den von mir gesehen Rennthierspuren.
Nachdem
ich hier zwei Stunden auf den Anbruch des Tages gewartet und den Taback geraucht hatte, liess ich,
sobald bei der Morgendämmerung die Rennthierspuren sich zeigte, meinen Hund
los. Ich selbst lief auf Schneeschuhen hinter meinem Hunde her.
Ich
legte eine Strecke von mehr als einen Kös zurück, indem ich von Felsen zu
Felsen, von Fluss zu Fluss mich herabliess. Auf dem frisch gefrorenen Schnee
begann Blut von den Füssen der Rennthiere sich zu zeigen, der müde Lauf der
Rennthiere war bemerklich, die Sätze meines Hundes wurden seltener, endlich
wurde das Gebell meines Hundes vernommen: es war offenbar, dass ich die
Rennthiere erreichen wurde.
Plötzlich
erklang die Stimme meines Hundes wie die
Stimme eines Sterbenden. Ich erschrak, als wenn mein Herz entzwei
gesprungen wäre. Ich verdoppelte meinen Lauf, in der Entfernung von ungefähr
zwei Flintenschüssen erblickte ich zwei blutige, kleine, schwarze Stücke
liegen.
In
dem Augenblick , als mein Hund eine grosse Rennthierherde erreicht, dieselbe in
einen reinen Bach getrieben hatte und, um sie herumlaufend, damit beschäftigt
gewesen war, sie nicht fortzulassen, waren zwei heisshungrige Wölfe vom Abhang
des Berges gestürzt, hatten meinen Hund am Kopf und an der Ruthe ergriffen und
ihn mit einem Male entzwei gerissen.
Die
Rennthiere hatten sich alle hierhin und dorthin zerstreut. Es war der siebente
Schnee meines Hundes. Als halbjähriger Welp ging er schon den Fang und hat
während sechs Jahren mich keinen hungrigen Tag sehen lassen.
Ein
Elenn, ein wildes Rennthier, ein Zobel, so wie viele andere Thier entgingen
meiner Tödtung nicht, sobald nur ihre Spur sich gezeigt hatte.
Man
wollte ihn für fünf Reit-Rennthier von mir erstehen. Ich gab ihn sogar für zehn
nicht fort. Mit ihm war ich reich, jetzt bin ich der ärmste Mensch. Ich weiss
nicht, wie ich mich meiner Familie zeigen soll: Frau und Kinder erwarten ihn,
um ihn zu küssen; jetzt wird ihr Weinen mein Herz mit einem stumpfen Messer
sägen. <<
Es
stand nicht in meiner Macht, diesem Tungusen mit irgend Etwas zu Hülfe
zukommen; nachdem ich ihn demnach mit den Worten, dass das Vergangene nicht
wiederkehre, das Ausgeflossene sich nicht wieder fülle, und die Hoffnung auf
Gott fester als irgend Etwas sei, aufgerichtet hatte, brach ich weiter auf.
Als
wir uns vom Ägnä, entfernten, mussten wir einen hohen, beschwerlichen Berg
ersteigen und wiederum zum Utschur hinabgehen.
Quelle Text: Otto Böhtling und Jakutien, Hartmann Kästner, Seite 28 - Leipziger Universitätsverlag
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● O.N. Böhtlingk ● A.Th.v.Middendorff
● O.N. Böhtlingk ● A.Th.v.Middendorff
● Sacha-Jakutien
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