Freitag, 5. Januar 2018

[42] Erinnerungen - A.J. Uwarowskij | Otto Böhtlingk und Jakutien

Jakuten |  Sibirien |  Tungusen |  Samojeden |  Pelz |  Lithographie |  1898 | source

Nachdem die Führer die Rennthiere eingefangen und sie "sammt und sonders herbeigeführt hatten, legten sie ihnen die Packsättel auf; hierauf beluden wir die Rennthiere und brachen bei Sonnenaufgang auf, nachdem wir zuvor die Jurte weggeräumt, die zusammengenähten Häute aufgerollt, die am Abend aufgebundenem Geschirre und Taschen zusammengebunden und umbunden, und alle Sachen weggeräumt hatten.

Auf diese Weise reisten wir im Verlaufe des ganzen Winters, sieben Monate hindurch, ohne eine Nacht in einem warmen Hause zuzubringen: Nur an drei Versammlungsorten, an denen wir zu zwei Tagen Halt machten, sahen wir jedes Mal etwa 10 Jurten Tungusen.

Die ganze Ausdehnung, dieser sich auf 200 Kös erstreckenden Landschaft besteht aus dichtem Gehölz Steingebirgen und Flüssen; niemals findet sich ein Weg.

Tungusischen Führer kennen jeden Fluss, jeden Bach bei Namen und gelangen an den Ort, wohin sie gehen, ohne Schwierigkeit und ohne sich zu verirren. An manchen Orten fällt der Schnee einen gestreckten Faden hoch : diesen Schnee brechen sie, indem sie auf Schneeschuhen die unbeladenen Rennthiere führen. Durch das dichte, undurchdringliche, drei bis vier Werst lange niedrige Gebüsch kommt man zu Fuss; indem man es mit seinen Messern niederhaut. An solchen beschwerlichen Orten legt man an einem Tage nicht mehr als einen Kös zurück.


In der Mitte des Winters kamen wir zum Gebirgsrücken der Byraja. Dieses Gebirge ist ausserordentlich hoch: nachdem wir am Fusse desselben genächtigt, erreichten wir, mit abgelegten Oberkleidern, erst beim Schwinden der Abendröthe die Höhe. Hier erfuhren wir viele Leiden; wir mussten auf unserm Wege den, mit einer harten Rinde versehenen, fadenhohen Schnee mit Schaufeln wegschaufeln; es stiessen uns einen gestreckten Faden hohe, senkrecht stehende Felsen auf.

Nachdem hier ein Mann mit der grössten Anstrengung hinaufgekommen war, zog er einen Führer an einem Stricke herauf; unser ganzes Gepäck nahm man den Thieren ab und zwei Mann zogen dasselbe, immer zu einem Stück an Stricken in die Höhe; nachdem wir hierauf mit der äussersten Anstrengung alle unsere Rennthiere unbelastet hinaufgezogen stiegen wir selbst einzeln, uns an einem Stricke ziehend, hinauf.

Die Beschwerden eines solchen Tages werden niemals vergessen werden. Nicht hinreichende ärmliche Speise, eine Kleidung aus Thierhaut, heftiger Schweiss, Wind, der Einem nicht gestattet gerade aus zu sehen Kälte — alles dieses folgte und begegnete mir, Mein Aeusseres unterschied damals in nichts von dem eines Tungusen, der lange Leiden ertragen hat.

Meine Gesichtsfarbe war durch Wind und Luft am Tage, durch Rauch und Feuergluth am Abend, nicht verschieden vom Gesicht des Giljaken. Das Kennzeichen des Russen war einzig in der Farbe meiner Kopfhaare und dann in der Form meiner Nase geblieben.

Da ich bei meiner Besteigung des Gebirges, heftig schwitzte, so ass ich, wenn ich auch nicht wollte, in Ermangelung von Wasser, Schnee; hierdurch erkältete ich mich stark. Kaum hatte ich am Abend den Ort, wo wir zu nächtigen gedåchten erstiegen, so wurde; ich sehr krank. Alles Blut stieg mir zu Kopfe, mein Gesicht brannte wie Feuer, aus dem, Zittern ersah ich; dass eine Erkältung mich ergriffen hatte.

Da ich keine Arzenei bei mir hatte und jeglicher Hülfe entbehrte, so wurde meine Lage im Winter, auf einem hohen Gebirge, inmitten eines pfeifenden kalten Windes; erschrecklich schwierig. Es schien, als wenn der Schatten des Todes sich in der Ferne zeigte; dessenungeachtet schreckte mich dieses nicht. Ebenso wenig schreckte eine auf dieser Erde in Noth zurückgebliebene Familie: die hatte ich nicht. Ich beklagte einzig allein meine und meine Leute nutzlose Bemühungen und meinen Tod, bevor ich meiner Behörde irgend etwas Nützliches, das ich gesehen und gehört; mitgetheilt und nachdem die Zeit, da ich das Ende einer so grossen Reise erreicht und heimgekehrt, schon herangenaht war.

Ich werde nicht davon reden, wie Tod und Leben die ganze Nacht hindurch mit einander kämpften, wie meine beiden Kosaken und meine beiden Führer die ganze Nacht, ohne zuschlafen, mit aufrichtigem Herzen mich beklagend um mich sassen und Acht darauf gaben, dass vor Allem die Decke nicht abgeworfen würde und die Kälte nicht hineindränge; in diesem Falle wäre mein Tod offenbar gewesen.


Am Morgen schlief ich ein als ich am Tage erwachte, fand ich mich so schwitzend, als wenn ich aus dem Wasser gekommen wäre; gegen Abend war nur Kopfschmerz nachgeblieben. Am anderen Morgen machte ich mich auf den Weg. Was ich an dem Tage, den ich hier unwohl zubrachte, gesehen und gehört habe, werde ich in einer müssigen Stunde besonders erzählen.
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 Label: Ewenken

  O.N. Böhtlingk   

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