Donnerstag, 3. Oktober 2013

[15] Erinnerungen - A.J. Uwarowskij || Otto Böhtlingk und Jakutien

In der Mitte des verflossenen Jahrhunderts lebte in Shigansk eine Russin, mit Namen Agrippina. Meine Grossmutter kannte sie von Gesicht.

Diese Frau galt für eine grosse Zauberin: derjenigen, den sie liebte, galt für glücklich; derjenigen dem sie zürnte, hielt sich für überaus unglücklich. Ein Wort, das sie sprach, wurde so angehört, als wenn es aus der Welt Gottes gesprochen würde.

Nachdem sie auf diese Weise das Zutrauen der Menschen gewonnen hatte, baute sie sich in ihrem Alter, in einer Entfernung von 4 Kös oberhalb Shigansk, zwischen Felsen ein Häuschen und wohnte daselbst. Niemand pflegte vorüberzugehen, ohne bei ihr anzusprechen, ohne ihren Segen zu empfangen und ohne ihr irgendetwas zum Geschenk zu bringen. Diejenigen Leute, die vorbeigingen, ohne es zu thun, brachte sie, indem sie sich in einen schwarzen Raben verwandelte, sie mit einem heftigen Wirbelwinde erreichte und ihnen verschiedene Sachen in’s Wasser fallen liess, in grosses Elend, beraubte sie des Verstandes und machte sie verrückt.

Auch nach ihrem Tode bis jetzt geht man an diesem Orte nicht vorüber, ohne ein Geschenk aufzuhängen. Diese alte Frau kennen ausser den Bewohnern von Shigansk auch alle Jakuten der Umgegend von Jakutsk. Von einer recht verrückten sagt man, dass die Agrippina von Shigansk sie ergriffen habe.


Man erzählte, dass diese alte Frau bis zum 80-sten Jahre gelebt habe, dass sie klein von Wuchs, aber dick, ihr Gesicht von Blattern buntgefurcht, ihr Auge wie der Morgenstern so scharf gewesen sei, und dass ihre Stimme so laut geklungen habe, als wie wenn man an Eisen schlägt. Ihr Name ist bis jetzt im nördlichen Lande noch nicht verloren gegangen.

Am Tage nach meiner Abreise aus Shigansk nahm ich nach Sitte der damaligen Zeit eine Blase mit Erde aus meinem Geburtsorte, um am Tage des Heimwehs dieselbe in Wasser zu mischen und dieses zu trinken. Zum Glück ich niemals Heimweh empfunden und daher keinmal meinen Magen mit schwarzer Erde angefüllt.

Nach dieser Zeit habe ich Shigansk keinmal besucht. Gott weiss es, ob ich mein Geburtsland wieder sehen werde oder nicht.

Zwei und ein halb Kös auf der Nordseite von der Stadt Jakutsk ist eine Gegend, die Killäm heisst. Hier hatten mein Vater und meine Mutter, ehe sie nach Shigansk gingen, sich ein hübsches russisches Haus gebaut und darin gewohnt. Dicht an ihrem Hause wohnten in einem besonderen Hause der Vater und die Mutter meiner Mutter, ein hohes Alter erreichend.

Ich hatte noch keinmal, weder in Shigansk, noch unterwegs, ein weites Feld der offene Gegend gesehen.

Ich hatte nur die strahlende blaue Wasserfläche des Flusses, von einer so grossen Ausdehnung, dass sie das Auge des Menschen nicht erreichen kann, gesehen, oder längs den beiden dieses Wasser ununterbrochenen fortlaufenden, dasselbe verdeckende Stein -, bisweilen aber auch Erdberg, die immer von oben bis unten mit Bäume eines undurchdringlichen Gehölzes bedeckt sind, das eines Menschen Auge nicht bemeistern kann.

Mein Ohr hatte niemals den Gesang der Lerche oder die Stimme eines Singvogels gehört; ich hatte nur die Stimme des schwarzen Raben und der Krache gehört, oder dann und wann das Gezwitscher des Dompfaffen. Von Gräser hatte ich nur das geruchlose Riedgras gesehen.

Quelle Text: -Otto Böhtling und Jakutien, Hartmann Kästner, Seite 10 -  Leipziger Universitätsverlag

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  Über die Sprache der Jakuten
  Sacha-Jakutien  

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