Sonntag, 13. Oktober 2013

[20] Erinnerungen - A.J. Uwarowskij || Otto Böhtlingk und Jakutien

Die Seen dieser Gegen waren im Laufe des Sommers mit verschiedenen Arten von Enten angefüllt, die in der Nähe befindlichen Gehölze und Wälder mit Hasen, Birk-, Hasel- und Rebhühner. Im Frühjahr, beim Fortschwimmen des Eises, und im Herbst, wenn alle diese Vögel, nachdem sie ihre Jungen zum Fluge gebracht, in die warmen Länder heimgeflogen, ging man vor dem Geschrei der Gänse, Enten, Schwäne, Kraniche, Storche und kleiner Vögel mit verschiedenen Namen seines Schlafes verlustig.

Ich habe von meinem 11-ten oder 12-ten Jahre an so viele Vögel getödtet, wie sehr wenige Menschen werden getödtet haben. Da ich Lust am Schiessen hatte, erschien mir einen noch so entfernte Gegend nahe; drei ganze Tage ohne zu schlafen auf der Jagd zuzubringen hielt ich für keine Anstrengung; von Müdigkeit wusste ich nie etwas.

Im Herbst schlief ich, auf das Weichen der nächtlichen Finsternis wartend, auf feuchtem Boden, einen Baumstamm mit unter den Kopf legend, ohne Decke und ohne Bettzeug in Kleidern ohne Fell, während Schnee und Regen von Wind begleitet über mich fielen; oder ich fing Fische, indem ich die ganze Nacht auf dem Sande, wo die Netzte ausgeworfen werden, in kalten Wasser watete. Dass ich mich auf dies Weise von Kindheit auf an Anstrengungen gewöhnt, ist mir in der Folge von Nutzen gewesen.

So lebten wir; da aber in der Folge die Nothwendigkeit eintrat, in der Stadt zu wohnen, so liess meine Mutter das Haus, das wir in Killäm bewohnten, aus einander nehmen, es in die Stadt überführen und es hier auf einen guten Platz hinzustellen, den sie sich ausgewählt hatte. Bis diese Arbeit zu Stande kam, setzte ich meinen Unterricht fort.

In meinem 16-ten Jahre trat ich in den Schreiberdienst des Kaisers in der Oberbehörde von Jakutsk. Hier stand über uns ein Herr mit Namen N.N. Dieser Herr der von geringer Herkunft war und sich auf das Schreiben nach der damaligen Art und Weise nur so obenhin verstand, galt für unentbehrlich. Indem er sich in diesem Glücke befand, schlug er die Mühe eines Menschen zu keinem Kopeken ein.

Auf seinen Befehl sassen wir und schreiben tagtäglich ununterbrochen vom frühen Morgen bis zum Mittag 9 Stunden, nach dem Mittag bis zur Nacht 8 Stunden, im Ganzen 17 Stunden. Für diese unsere Mühe gab man uns im Monat zu einem oder zwei Rubeln in Kupfer. Nachdem ich auf diese Weise ungefähr zwei Jahre gelebt hatte, wurde ich Tischältester; im dritten und vierten Jahr übertrug man mir bis sechs Tische. Ueberdies übertrug man mir in Kurzem die abgesonderte Kanzelei des Gouverneurs. Von den zehn Personen ungefähr, die mit zur Hilfe gegeben waren, um all diese überaus mühsame Geschäft zu verrichten, bestand die eine Hälfte aus kleinen Kindern, die mir in die Lehre gegeben waren, die andere Hälfte aus ausgemachten Säufern.

In Folge dessen zog sich meine Arbeit ohne Ende hin: ich arbeitet am Tage zu zwanzig Stunden. Für diese meine Mühe erhielt ich im Monat fünf Rubel in Kupfer. Die Liebe meiner Vorgesetzten, die Achtung aller Leute und die Freude meiner Mutter über alles dieses verliehen mir die Kraft; dann hatte ich aber auch das Bewusstsein, dass diese meine Bemühungen von Nutzen waren.

Nachdem meine Mutter zwölf Kinder, die ihr geboren waren, und ihren geliebten Alten begraben hatte, lebte sie, nur durch mich beseelt. Gerade als ich auf diese Weise sie erfreute, zu einer Zeit, wo sie hätte ausruhen sollen, ergriff sie ein grosse tödtliche Krankheit, die von Tage zu Tage zunahm, zwang sie zwei ganze Jahre im Bett zu liegen.

Während der ganzen Zeit, dass sie lag, vertraute ich auch nicht eine Nacht irgend wann irgend Jemand die Aufsicht und Sorge um sie: das Reichen der Medizin, das Speisen, das Umwenden im Bette, Alles pflegte ich mit eigener Hand zu thun; an ihrer Seite sitzend schlief ich; nachdem ich die meiste Zeit schlaflos zugebracht,  ging ich in die Kanzelei.

Endlich begannen ihre Kräfte offenbar zu schwinden. Während neun Tagen und Nächten vor ihrem Tode pflegte ich sie, ohne irgend wohin auszugehen und ohne zu schlafen. Der letzte Vermächtnissworte, die Todestage sagte sie:

>> Bleibe nicht in der Stadt Jakutsk, diese Stadt ist voll neidischer Russen. Die Jakuten haben dich geliebt und werden dich ferner lieben; hieraus wird Neid entspringen, der Neid wird bewirken, dass du wegen eines Worte zur Verantwortung gezogen wirst, er wird deine Freiheit fesseln und sich in’s Elend bringen.

Verkaufe dein Haus und deine Habe, du selbst aber gehe nach Russland; dort wirst du den Sonnenkaiser sehen, dies wird dein Glück werden. Du bleibst jetzt allein zurück unter der Sonne, die Art und Weise meines Denkens kennst du vollständig; entferne dich nicht von meiner Art und Weise zu sein. 

Diese Art und Weise wird dein Herz, wenn dich auch noch so viel Unglück heimsucht, erfreuen. Vergiss nicht gegen die Menschen hülfreich zu sein mit deiner Habe, mit deinem Rathe; mit deiner Arbeit: der Art muss der Mensch sein. Morgen werde ich sterben, bei Sonnenaufgange schicke nach dem Geistlichen und rufe alle meine Verwandten und Bekannten herbei <<.


Quelle Text: -Otto Böhtling und Jakutien, Hartmann Kästner, Seite 16 -  Leipziger Universitätsverlag

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  Über die Sprache der Jakuten
  Sacha-Jakutien  

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