Samstag, 4. Mai 2013

Erinnerungen - A.J. Uwarowskij [9]



Gnädiger Herr  Otto Nikolajewisch!

Aus Verlangen, die Sprachen verschieden benannter Völker kennen zu lernen, kamst Du im vergangenen März in meine Wohnung, und erzähltest mir von Deinem Vorhaben, die ganze von den Jakuten gesprochene Sprache in Schrift zu setzten. Du batst mich, Dir bei dieser Arbeit behülflich zu sein.
 
Das Land der Jakuten ist mein Geburtsland, die Sprache der Jakuten meine Muttersprache: hätte ich demnach nein sagen und Dir bei Deiner schönen und nützlichen Arbeit nicht behülflich sein sollen?
 
Der siebente Monat wird eben voll seit dem Tage, da du den Anfang mit der Jakutische Sprache machtest; in wenigen Monaten geht Deine Arbeit zu Ende. Dein Verstand und der Umstand, dass Du im Verlauf von wenigen Monaten den Grund und die Kraft der jakutischen Sprache erkanntest, ist ein bewunderswerther und guter Bürge dafür, dass die Mühen, mit denen Du Dich abgemüht hast, zu grossen Nutzen gereichen werden.
 
Die Jakutische Sprache gilt aus Mangel an Schrift für eine todte Sprache; es bleibt nur eine kurze Zeit, so wirst Du sie beleben. In kurzem wirst Du das Lob sowohl hochstehender als auch gelehrter Leute erlangen und den endlosen Dank des Jakutischen Volkes empfangen. Die jetzige Generation der Jakuten wird in vollem Maasse aus Deiner Schöpfung Nutzen ziehen, Deinen Namen erhöhen und mit aufrichtigem Herzen für Dich ihre Kniee beugen vor dem hohen göttlichen Erschaffer. Dies wird ihre Bezahlung, dies Dein Lohn sein,
 
Im Verlauf dieser unserer Beschäftigung wünschtest Du aus einer Jakutisch geschriebenen Schrift die ‚Art und Weise meiner Entstehung, meiner Geburt und meines Ganges kennen zu lernen. In Folge Deiner Freundlichkeit war es nicht möglich auch in diesem Punkte Deinem Wunsch nicht nach Kräften zu erfüllen. Das mit diesem Gedanken von mir beschrieben Leben, das ich >> Erinnerungen << benenne, übergebe ich Dir mit diesem Briefe.
 
Ich bin mir der Nutzlosigkeit dieser Schrift bewusst: nur Du wirst sie Beispiel halber lesen. Niemand anders als du wirst sie lesen. Nichtsdestoweniger war das Schreiben derselben ziemlich schwierig, und es konnte auch nicht anders sein: es war vorher noch keine Schrift in Jakutischer Sprache geschrieben worden, man kannte noch nicht die geeignete Weise und das Gesetz, die Sprache in Schrift zu setzten. Von alten Zeiten her bis jetzt tritt uns, Jakutisch geschrieben, nur ein heiliges Buch, Katechismus genannt, entgegen, und auch diese Schrift ist aus einem Russischem Buche sehr schlecht übersetzt worden. Daher freue ich mich jetzt darüber, dass ich die erste Schrift in der Sprache der von mir geliebten Jakuten verfasst habe.
 
Ich hielt es für zu gering, in diesen >> Erinnerungen << einzig und allein von mir selbst zu schreiben; hier findet sich nichts als Unglück und traurige Erinnerungen. Aus diesem Grunde fügte ich, wenn es auch kurz geschah, eine Beschreibung der Lebensweiser der Jakuten hinzu.
 
Ausführlich zu schreiben, verbot mir der Umfang meiner Schrift; dann ist auch der Jakute in seiner Lebensweise von allen andern Völkern verschieden; seine Denkweise und sein Charakter habe sich im Verlauf von mehreren Jahrhunderten wenig verändert, seine Gesetzt und Rechte sind eigenthümlich, der Umfang des von ihm bewohnten Landes maasslos, seine Wälder reich an unvernichtbaren kostbaren Thieren, seine Gewässer an bekannten schönen Fischen, die Kälte und Hitze seines Landes ist von übermässiger Heftigkeit, die Treibkraft der Gräser und Bäume sucht ihres Gleiche. Wenn man alles dieses ins Einzelne beschreiben wollte, würden mehrer dicke Bücher hervorgehen.

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  O.N. Böhtlingk     A.Th.v.Middendorff
  Über die Sprache der Jakuten
  Sacha-Jakutien  

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